15.07.2022 - Druck schliesst Türen
Über die vergangenen zwei Wochen bekomme ich gleich doppelt Besuch je eines Vertreters einer Krankenkasse. Nach Jahren der Untätigkeit bezüglich meiner Zusatzversicherung ist es an der Zeit, diese neu zu beurteilen und allenfalls anzupassen. Nebst dem Dialog über das eigentliche Thema bin ich natürlich auch sehr gespannt auf das Verhalten der beiden Menschen. Ich nehme mir vor, bewusst auf die Art und Weise, wie sie sprechen zu hören und zu erkennen, wie sie ihre Körpersprache einsetzen. Es wartet also zweimal ein spannendes Gespräch auf mich.
Im ersten Fall schmunzle ich bereits bei den ersten Worten an der Eingangstür. Das in krankenkassen-internen Schulungen Erlernte wird fein säuberlich angewendet und mir gesagt, wie unglaublich schön wir hier wohnen und blablabla. Bei mir kommt dies als gelebte Pseudo-Freundlichkeit an. Wie wir zusammen am Tisch sitzen und der Herr mir die verschiedenen Versicherungsoptionen an seinem Laptop aufzeigt und dabei wild durch sein Programm huscht, hier etwas selektiert und da was rausnimmt und dabei ununterbrochen spricht, schalte ich innerlich ab. Es ist mir nicht mehr möglich zu folgen. Ich bitte mein Gegenüber, mir das Ganze gerne kurz auf einem blanken A4-Papier zu skizzieren. Doch meine Bitte wird nicht angenommen und er beharrt darauf, mir das Ganze am Bildschirm nochmals von vorne zu erklären. Irgendwann ist auch meine lange Leitung kurz geworden und ich meine, es mehr oder weniger verstanden zu haben. Und schon werde ich mit einer kleinen Druckoffensive dazu gedrängt, mit meiner Zusage den neuen Vertrag abzuschliessen. Doch ich gebe dem Herrn zu wissen, dass ich es nicht mag, wenn mir gegenüber Druck ausgeübt wird und er mir doch alles nochmals fein säuberlich zusammenstellen und mir zuschicken soll. In diesem Moment erkenne ich, wie sein Gesicht eine andere Ausdruckform annimmt und er händeringend Wörter sucht, um mich doch noch von einer Vor-Ort-Zusage zu überzeugen. Doch so funktioniere ich nicht. Ich bleibe hart und er merkt, dass da vorerst nichts zu machen ist. Und innerhalb weniger Minuten bin ich meinen Gast los, ohne dass er sich beim Gehen auf die im damaligen Kurs erlernten Grundsätze zurückgreift. Sogar seine Pseudo-Freundlichkeit ist im Nirvana entschwunden.
Zweiter Fall: Irgendwie ähnlich und doch anders. Vor allem hat Herr Nummer 2 Papier mit dabei und kann mir die verschiedenen Varianten 1:1 auf dem Tisch darlegen und erklären. Ich erkenne viel mehr Transparenz und Offenheit. Ich stelle gerne Fragen und in Gesprächen mit Vertretern noch viel lieber. Eine Frage von mir löst vis-à-vis Unverständnis und etwas Druck aus. Die Antwort ist: "Das hat mich noch nie jemand gefragt." Ich gebe Nummer 2 zu wissen, dass ich es toll finde, wenn ich der allererste Mensch bin, der ihm eine solche Frage stellt. Irgendwann ist Schluss mit langem Gerede und mir wir der Kugelschreiben angeboten, um meine Unterschrift auf mehrere Seiten Papier zu setzen. Das Angebot überzeugt mich und ich bezeuge dies entsprechend. Vertreter Nummer 2 hat auf mich keinen Druck ausgeübt, sondern hat mit seiner authentischen Art und Weise überzeugt.
"Dann müssen Sie jetzt nur noch Ihre Zusage geben!" In diesem Satz steckt ganz viel Druck. Und Druck erzeugt Gegendruck, ganz automatisch. Bei mir in der Form vom Wort "Nein". Und schon ist der Druck ist verpufft.
Im Prinzip steckt in diesem Satz das Bedürfnis vom Vertreter, dass er mich als neuen Kunden gewonnen haben will. Wenn er etwas will von mir, heisst das im Gegensatz nicht, dass ich etwas Muss.
Selber habe ich ebenfalls schon Erfahrungen damit gemacht, dass mit Druck bei anderen Menschen nur selten etwas zu erreichen ist. Kaum ein Mensch will sich von aussen etwas aufdrücken lassen. "Du musst", "du solltest", "ich an deiner Stelle würde unbedingt" sind Sätze, bei denen unweigerlich ein innerer Alarm aktiviert wird und ich aufmerksam werde.
Solche Druckmomente sagen meist viel mehr über den Sprechenden aus als über das, was er dir aufdrücken will.
Achte dich also beim nächsten Mal feinfühlig auf solche Worte und frage dich, was dein Gegenüber über sich selber gerade aussagen will. Vielleicht gelingt es dir zu erkennen, wieso diese Person sich auf dich projizieren will. Und denke dabei immer daran, du MUSST gar nichts!