16.07.2021 - Wahre Gastfreundschaft       

Sehr gerne und immer wieder besuche ich meine Eltern am schönen Bodensee, denn dort bin ich immer willkommen und darf mich einfach gelassen und entspannt Sohn nennen. Im Kreise der Familie fühle ich mich sehr geborgen, geerdet und zuhause. Meine Mutter und mein Vater zeigen mir stets aufs Neue, wie Gastfreundschaft funktioniert, was in meinen Augen bedeutet, für Mitmenschen ein grosses Herz und eine offene Tür zu haben. Vor einige Tagen durfte ich dies wieder so ungezwungen und authentisch bei ihnen erleben und so sein, wie ich bin. Dafür danke ich ihnen von ganzem Herzen, denn ich bin mir bewusst, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist.
Ein paar Stunden später besuche ich einen Kollegen, der sich seit mehreren Jahren in der Reha-Klinik aufhält. Wir haben uns seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen und ich weiss absolut nicht, wer mich genau erwarten wird und wie er sich nach seiner schwierigen Zeit mir gegenüber verhält. Zur erfreulich positiven Überraschung sehen wir uns so, als hätten wir uns eben gerade vorgestern beim Bier gesehen und dabei einen wunderbaren Abend verbracht. Glücklich über das Wiedersehen beim Kollegen erfahre ich auch hier eine unbeschreibliche Gastfreundschaft, strahlende Augen und in der Folge eine ganz spannende Diskussion zwischen uns beiden. Auch mein Kollege öffnet mir die Tür, indem ich ihm viele Fragen stellen darf und ich so auf verbaler Ebene bei ihm zu Besuch war. Es wird mir bewusst, dass man nicht nur physisch Gast sein kann, sondern auch auf Gesprächsebene, in welchen Themen das auch immer sein mag.

Gastfreundschaft zum dritten erlebe ich anschliessend in den Appenzeller Alpen zusammen mit meinen Kollegen, mit denen ich mich auf ein Wanderwochende treffe. Kaum betrete ich das Gasthaus am malerischen Seealpsee werde ich von Madeleine gleich mit Vornamen begrüsst, obschon wir uns noch nie zuvor getroffen haben und uns kennen. Aufgrund der Gästeliste liegt es auf der Hand, dass es sich noch um unsere Gruppe handeln muss und da ich die Reservation tätigte, landet Madeleine einen Volltreffer mit meinem Namen. Das ist der Anfang von 100% gelebter Gastfreundschaft, den Gast wertzuschätzen und ihm seine Wünsche zu erfüllen. In jedem Moment fühlen wir uns im Gasthaus wie zu Hause, das Personal kümmert sich mit Charme und grosser Freundlichkeit um unser Wohlergehen. Dadurch fällt es uns am nächsten Morgen nicht ganz einfach, die Wanderung zu starten, sehr gerne wären wir in diesem temporären, warmen und authentischen Zuhause noch etwas verweilt.

So viel verschiedene und ehrliche Gastfreundschaften in nur wenigen Stunden sind aus meiner Sicht etwas rar geworden. Immer mehr ringt das Geld und das Schneller-Höher-Weiter den Mitmenschen den Rang ab. Kein Wunder hinterlässt diese Ausrichtung bei uns Spuren, wir tendieren selber so zu werden, wenn wir vergessen, das Bewusstsein wieder einzuschalten.

Ein erster Schritt, diesen Schalter auf ON zu stellen darf sein, dass wir uns vorstellen, dass wir permanent bei uns selber Gast sind und wir uns selber so behandeln, wie wir von anderen Menschen behandelt werden wollen. Dies beginnt schon am Morgen mit den ersten Gedanken und den ersten gesprochenen Worten. Sei schon in den ersten wachen Augenblicken freundlich zu dir selber und werte den Tag nicht ab mit Äusserungen dir gegenüber wie "Ach, Montagmorgen und ich muss schon wieder arbeiten gehen und das 10h-Meeting liegt mir seit Tagen auf dem Magen und wenn ich an mein vis-à-vis denke, wird mir schon wieder anders". Würdest du diese Wörter deinem Gast gegenüber ebenfalls äussern, vorausgesetzt du bezeichnest dich selber als guten Gastgeber? Oder umgekehrt, würdest du Freudensprünge in die Luft zaubern, wenn dir jemand solche Worte auf den Weg in den Tag mitgibt?

Also, mach dir immer wieder bewusst, wie du still in Gedanken und laut beim Reden mit dir selber umgehst. Du wirst Ohren machen.

Behandle dich selber wie einen Gast und wie einen Gastgeber, immer und immer wieder.